Lyngenalp Skitour Norwegen

Irgendwann im Sommer 2016 lag ich mal kurz bei Uwe unter dem Skalpell. Wir ließen den letzten Winter bisschen Revue passieren und tauschten Ideen für den Nächsten aus. Während „normale Ideen“ wie Allgäu, Berner Oberland und Tirol schnell besprochen waren, sagte Uwe, als er zum Schnitt ansetzte, die Lyngenalps in Norwegen würden ihn mal reizen. Lyngenalps in Norwegen? Um meine absolute Unwissenheit über die geographische Lage zu überspielen, sagte ich: „Hört sich spannend an.“ Als die Fäden drin waren und Uwe zum nächsten Patienten musste, haben wir uns noch auf ein Telefonat ein paar Tage später verständigt – jedenfalls genug Zeit, um Goolge mal nach den Lyngenalps zu befragen. Sofort öffneten sich unzählige altbekannte kommerzielle Anbieter. Ich klicke weiter auf Bilder, ein paar Sekunden später schicke ich Uwe eine Mail: Norwegen, ich bin dabei.

Dann schaue ich direkt nach, wie die Lyngenalps, weit nördlich des Polarkreises, am besten erreicht werden können: Tromsø hat einen Flughafen und ist zwei Autostunden von Lyngseidet entfernt. Lyngseidet bietet sich gut als Ausgangspunkt für Touren in den Lyngenalps an. Außerdem fliegt SAS von Frankfurt über Oslo nach Tromsø und auf Visit-Lyngenfjord.com finden sich alle Unterkünfte auf den beiden Halbinseln. Alles in allem lässt sich also alles recht einfach privat organisieren.

Beim nächsten Telefonat mit Uwe besprechen wir schon erste Ideen und legen das Datum fest. Jetzt ist noch die Frage, wer noch Lust hat, Skitouren vom Meer aus zu unternehmen. Schnell steht die Truppe fest: Uwe und ich sind gesetzt, meine Frau Nina zögerte auch maximal 5 Sekunden, Jörg und Werner waren auch recht schnell überzeugt. Als Annette etwas später erfuhr, dass wir sogar in den Osterferien fahren wollen und sie sich ein Youtube Video angesehen hat, stand sie als sechste Person fest. Außerdem fanden sich noch Uwes Bruder, Tilman und sein Bergfreund Jochen aus Fürth.

Also Flüge, Unterkunft und Mietwagen online gebucht und schon standen wir am 02.04.2017 in Frankfurt mit acht Leuten am Flughafen und freuen uns wie kleine Kinder auf das Abenteuer in Norwegen. Die Sicherheitskontrolle in Frankfurt zickte zwar wegen unserer Lawinenrucksäcke etwas rum, aber nach gut einer Stunde waren wir dann auch hier durch und kamen ein paar Stunden später in Tromsø an: eben noch die Mietwagen abholen und los geht´s. Durch ein ordentliches Upgrade bei der Fahrzeugklasse hatten wir neben viel Platz auch noch richtig Spaß beim Fahren mit Spikes auf schnee- und eisbedeckter Fahrbahn. Dann endlich gegen 21.30 Uhr kommen wir in unseren Appartements in Lyngseidet an. Noch schnell ein paar Nudeln für alle und ab ins Bett. Die Tourenplanung für den ersten Tag haben wir quasi schon im Flieger erledigt.

Der Rømestinden (1042 m) sollte es werden. Eine schöne Tour für den ersten Tag zum warm werden: Start und Ziel ist quasi der Keller unserer Unterkunft direkt am Meer. Unsere erste Spur legen wir durch den ein oder anderen Garten und steigen mitten im Wohngebiet Richtung Ortsrand auf. Am Tourenparkplatz angekommen, trifft man auf die ersten bekannten Gesichter, die Bergwelt ist eben klein. Die Lawinensituation zieht viele auf den Rømestiden, ein schöner Aussichtsberg mit sicherer Aufstiegsspur und einer ersten überraschend guten Abfahrt. Auf halber Strecke runter entscheidet die Hälfte der Truppe noch den benachbarten Kavringtinden (1289 m) zu besteigen. Zeitlich haben wir noch Reserven und das wechselhafte Wetter lässt immer wieder einen Blick Richtung Gipfel zu. Fazit vom ersten Tag: Wetter war mehr so na ja, die Abfahrten machten aber erstaunlich viel Spaß.

Abends checken wir noch gefühlt 15 verschiedene Wetterapps für den nächsten Tag. Ziel war es wohl, einen Wetterbericht zu finden, der Sonne verspricht, zumindest aber keinen Regen. Am nächsten Morgen schauen wir gespannt aus dem Fenster: Es regnet. Wenig überrascht von dem Hundswetter frühstücken wir in aller Ruhe und überlegen uns einen cleveren Schachzug: Wir wechseln von der Ostseite der Halbinsel auf die Westseite und hoffen hier natürlich auf besseres Wetter; zumindest aber auf Niederschlag in fester Form. Auf der Westseite beim Russelvfellet (818 m) angekommen hat der Regen die Intensität eines leichten Sommergewitters angenommen. 1:0 für das Wetter. Na was soll`s, sagen wir und drehen um. Auf halber Strecke hatten wir einen kleinen Hügel gesehen, der irgendwie nicht in den Wolken gehangen hat. Also neuer Treffpunkt die Rundfjellnasen (595 m). Dort am Parkplatz angekommen, ist es trocken. Hochmotiviert fellen wir an und laufen los. Wir erreichen nach 30 Minuten die Waldgrenze auf 200 HM, als sich der ein oder andere Tropfen bemerkbar macht. Oben angekommen sind wir alle klatschnass (irgendwann ist jede High Performance Jacke mal durch) und irgendwie sagt sich jeder selbst: Was zum Teufel machen wir hier eigentlich? Auf der Rückfahrt wird niemandem so richtig warm in den nassen Klamotten, also perfekter Tag um die Sauna im Keller zu testen.

Tag drei ist Wetterbesserung in Sicht, nach einem Tag Skitour im Regen ist das allerdings auch nicht besonders schwer. Da wir uns nicht einig werden konnten, welchen Berg wir heute machen, teilt sich die Gruppe auf. Werner, Nina und ich erstürmen den Fastdalstinden (1275 m), während Uwe, Tilmann und Jochen die Fähre nach Olderdalen nehmen, um dort den Gillavarri (1163 m) zu besteigen.

Annette und Jörg machen den sogenannten Wellnesstag und gehen etwas spazieren. Wir hatten nach dem Regen natürlich mit Schneeverhältnissen gerechnet, die man als Skitourer irgendwo zwischen Desaster und Katastrophe einordnet. Zum Glück lagen wir jedoch auch hier falsch, am Vortag müssen sich nach dem Regen noch ein paar Flocken auf die Schneeoberfläche gelegt haben. Wir hatten also auf einer festen Unterlage ein paar Zentimeter Neuschnee, der die Abfahrt zumindest bis ca. 600HM zu einem echten Vergnügen machte.

Am vierten Tag einigten wir uns auf den Stetinden (920 m) und sehen auf der Fahrt zur Westseite das erste Mal im großen Panorama, wieso wir eigentlich hier sind: Die umliegenden schneebedeckten Berge ragen unmittelbar aus dem blauen Meer auf. Riesige Bergflanken lassen unzählige Abfahrten zu. Hier findet wirklich jeder eine Linie mit unberührtem Schnee. Einfach Traumhaft schön hier oben. Zwar schieben sich immer wieder dichte Wolken über uns, aber der Stimmung tut das keinen Abbruch. Auch wenn wir wieder im dichten Nebel auf dem Gipfel stehen und keinen 360° Blick genießen können, abfellen und los: Orientierung gibt die Aufstiegsspur. Wir fahren nur wenige Meter langsam den Berg hinunter und dann reißt es komplett auf. Wir queren ein paar Meter den Hang bis wir keine Spuren mehr sehen und lassen es einfach laufen. Wir surfen auf grandiosem Pulver in Richtung Fjord herunter. Einfach atemberaubend diese Kulisse hier. Wir fellen noch einmal an und brechen Richtung Bjørndaltindan auf, um noch einen Hang mehr beim Abfahren zu genießen. Zurück in der Unterkunft diskutieren wir die Tour für den nächsten Tag. Aufgrund des Neuschnees und der tollen Exposition von diesem Tag wird wieder ein Berg auf der Westseite der nördlichen Halbinsel zum Ziel erklärt.

Tag fünf beginnt, inzwischen schauen wir schon ziemlich routiniert auf die Wolken um uns herum. Egal, der Berg ist gesetzt. Bis jetzt hatten wir ja doch immer mehr Glück wie Pech (der Regentag ist inzwischen geistig verarbeitet). Ziel ist der Storgalten (1219 m). Wir legen unsere Spur anfangs durch den lichten Birkenwald von der Küste ab. Schon nach kurzer Zeit sind wir wieder auf riesigen tiefverschneiten Hängen unterwegs. Die Spur wird mit jedem Höhenmeter etwas tiefer, was den Schnee angeht, hatten wir den richtigen Riecher. Es ziehen auch heute wieder dichte Wolken durch, aber zwischendurch setzt sich mehr und mehr die Sonne durch, so dass wir uns häufig umdrehen und Richtung Fjord und offenem Meer schauen. Oben angekommen krallt sich natürlich wieder eine fette dunkle Wolke am Gipfel fest. Das kennen wir ja und wir wissen auch, dass das nur von kurzer Dauer ist. Nach wenigen Schwüngen liegt ein endloser und riesiger Powderhang vor uns. Wir lassen es einfach nur krachen. Ein Hammer Schnee, ein perfekter Hang und ein Ausblick Richtung Nordmeer. Wir kommen am Fuß des Hanges zum Stehen und strahlen um die Wette. Fast schon kitschig das ganze hier. Der fast perfekte Tourentag endet mit einem grandiosen Abendessen: Endlich hat der Supermarkt in Lyngseidet die lang ersehnte Krabbenlieferung bekommen. Nachdem Uwe 2 kg gekauft hatte, habe ich die Kühltruhe mit den Krabben noch komplett geleert: So wurde es abends nicht langweilig, wir hatten ja knapp 4 kg Nordmeerkrabben zu pulen.

Tag sechs, der Wetterbeicht sagte das erste Mal Sonne voraus und sollte recht behalten: Wir haben strahlend blauen Himmel ohne eine einzige Wolke. Wir besteigen nach einer Fährfahrt nach Olderdalen den Sorbmegaisa (1288 m). Allein die Fährfahrt war die Reise wert, denn Panorama pur war angesagt. Als alle oben am Sorbmegaisa ankommen, trennen wir uns für die Abfahrt in drei Gruppen auf den beim Aufstieg hat jeder schon seine eigene Linie gefunden.  Dieser Tourentag ist die Krönung dieser Reise: Strahlender Sonnenschein, tiefer Pulverschnee und ein Blick auf alle Berge der Region.

Nach einem kurzen Stopp in Tromsö geht es am Sonntag wieder zurück nach Frankfurt.

Eine Woche Lyngenalps liegt hinter uns. Ich befürchte, der ein oder andere ist süchtig geworden.

Bericht: Lukas und Nina Werner

Fotos: Annette, Jörg, Jochen, Lukas, Nina, Tilman, Uwe und Werner